Die Geschichte der Artistenfakultät
0.1.Die Gründungszeit
Eine Fakultät war rechtlich gesehen eine ähnlich autonome Körperschaft wie die übergeordnete Universität. Sie konnte eigene Finanzen und Personal verwalten und besaß eigene Statuten. Man erstellte Lehrpläne, regelte die Prüfungen und verteilte akademische Grade. Die Universität nahm eine eher passive Rolle als überstehende kontrollierende Instanz. Aktiv wurde sie am häufigsten im Rahmen der universitären Gerichtsbarkeit, wenn es galt, Verstöße der Studenten oder auch der Lehrkräfte zu ahnden.
Die in den Statuten festgelegte Aufgabe der Artistenfakultät, auch als philosophische Fakultät bezeichnet, war das Lehren von Sitten, Tugenden, Gesinnung, Verstand, Weisheit und Ehre, vereint im „höchsten humanistischen Bildungsgut“ Eloquenz. Explizit bereitete das Studium in der Artistenfakultät die Studenten auf das folgende Studium in den höheren Fakultäten Theologie, Jura oder Medizin vor. Um diesen beitreten zu können, musste man seinen ersten Abschluss bei den Philosophen absolvieren. Philosophie galt als „Magd“ der Theologie: Das Artistenstudium sollte den Verstand für „Höheres“ schärfen. Damit besaß das Studium einen allgemeinbildenden Charakter, dessen Ziel vornehmlich die Persönlichkeitsbildung und nicht die Ausbildung für einen Beruf war. Im Rang stand die philosophische Fakultät damit hinter den anderen.
Offiziell begann der Lehrbetrieb am 2.10.1477, einen Tag nach der Eröffnungsfeier. Die Artisten hatten sieben Lehrstühle und waren damit die größte der vier Fakultäten. Die erste Burse, in der sich die Philosophen niederließen, war der Hof Zum Algesheimer, der ehemalige Altersruhesitz von Johannes von Gutenberg. Auch die Theologen und Mediziner wurden dort untergebracht. In dem Haus fanden der Unterricht, wöchentliche Disputationen, alle Prüfungen und die Promotionen statt. Wegen seiner großen Bedeutung für die Universität auch als Versammlungsort für den Senat wurde die Burse auch Collegium Maius genannt, das große Kollegium. Ab 1500 erlebte die Fakultät eine Blütezeit, 1501 wurde eine Professur für Rhetorik und Moralphilosophie eingerichtet, wenige Jahre später um 1508 eine Geschichtsprofessur. Jährlich besuchten zwischen 100 und 125 Studenten die Artistenfakultät. 1516 entdeckten einige Magister der philosophischen Fakultät in der Bibliothek ein Livius-Manuskript mit bis dahin unbekanntem Material. Dieses wurden aufgearbeitet, übersetzt und veröffentlicht.
0.2.Der Wegestreit
Ein internes Problem, mit dem sich die Artistenfakultät schon seit ihrer Gründung befassen musste, war der Wegestreit. Dabei handelte es sich um zwei konkurrierende philosophisch-theologische Schulrichtungen der spätmittelalterlichen Scholastik, die um die Dominanz an den europäischen Universitäten kämpften. Der Streit ist nur schwer definierbar, da er sich bereits seit dem 13. Jahrhundert hinzog und dabei ständig Veränderungen durchmachte. Grundlage des Streits war eine erkenntnistheoretische Grundfrage nach der Seinsweise der Allgemeinbegriffe, der universalia. Die sogenannte via antiqua, die sich auf alte Scholastiker wie Thomas von Aquin und Albertus Magnus stützte, vertrat die Auffassung, dass Allgemeinbegriffe real existierten und somit objektiv gültig waren. Im Gegensatz dazu postulierte die via moderna, zu deren Begründer der Philosoph und Gelehrte Wilhelm von Ockham gilt, dass Allgemeinbegriffe nur Abstrakta sind, subjektive Denkgebilde, die aus Einzeldingen entwickelt worden sind. Nur das Einzelding ist real. Diese Grundsatzdiskussion entwickelte sich im Laufe der Zeit zu einem Streit um literarische Autoritäten und die Methodik bei der Lektüre und Bearbeitung von Texten. Die via antiqua hielt sich streng an die vorgegebenen Texte und bemühte sich um möglichst getreue Wiedergabe, die via moderna konzentrierte sich auf die Argumentation der Texte und entwickelten Zweifel und Fragen, um eventuell neue Lösungen zu entdecken. Letztlich ging es um die grundsätzliche philosophische Einstellung sowie um die bevorzugte Arbeitsweise.
In Mainz waren Vertreter der via antiqua in der Gründungszeit der Mainzer kurfürstlichen Universität in der Überzahl und dominierten die Fakultät, was sich auch darin zeigte, dass die ersten vier Rektoren der Universität dieser Schule angehörten. Dies änderte sich um 1490, als sich die Zahl der Anhänger der via moderna vermehrte. Aufgrund der sich verschärfenden Rivalitäten zwischen den beiden Schulen kam es zur Gründung einer neuen Burse. Schon 1482 mieteten die Vertreter der via antiqua ein Patrizierhaus, um dort eigenständig Unterricht zu halten. Schließlich kauften sie in mehreren Ratenzahlungen das Haus 1509/10 auf und zogen endgültig aus dem Hof Zum Algesheimer aus. Dabei kritisierten sie, dass sie keine Unterstützung von der Universität und vom Landesherrn, dem Erzbischof erhalten hatten. Während die Burse Zum Algesheimer Hof der Universität vom Erzbischof Diether von Isenburg zur Verfügung gestellt worden war, mussten die Vertreter der via antiqua den Schenkenberger Hof selbst kaufen. Sie finanzierten sich durch Spenden und höhere Preise für Unterkunft, Essen und Vorlesungsbesuche. Dank dem großen Zulauf, die der Schenkenberger Hof kurz nach seiner Gründung erfuhr, konnte er bereits 1520 erweitert werden. Beide Schulen koexistierten nun mehr oder weniger friedlich nebeneinander, und blieben auch weiterhin in einer Fakultät integriert.
0.3.Niedergang und erneuter Aufschwung unter Leitung der Jesuiten
Im Laufe der Reformation verlor die philosophische Fakultät an Bedeutung. Erzbischof Albrecht von Brandenburg verbot 1523 die Lektüre lutherischer Schriften, was zum Abgang vieler Humanisten von der Mainzer Universität führte, darunter hauptsächlich Mitglieder der Artistenfakultät. 1525 wurde Mainz vom Bauernkrieg erfasst, 1539 wütete die Pest in der Stadt. In den 1540er Jahren waren nicht mehr alle Lehrstühle der philosophischen Fakultät besetzt, es fehlte an qualifiziertem Personal, und auch die Zahl der Studenten ging zurück. Um dem entgegenzuwirken wurden 1543 die Hörgelder abgeschafft, sodass nun alle Vorlesungen kostenfrei von den Studenten besucht werden konnten. Die Maßnahme zeigte langfristig wenig Erfolg. Ein weiteres Zeichen der Krise war der Plan des Erzbischofs Sebastian von Heusenstamm 1546, die Schenkenberger Burse aufzulösen und in ein Pädagogium umzuwandeln, eine voruniversitäre Einrichtung, die angehende Studenten besuchten, um den nötigen Wissensstand für ein Artistenstudium zu erlangen. Damit hoffte der Erzbischof, Geld zu sparen. Die philosophische Fakultät protestierte jedoch und konnte die Umsetzung des Vorhabens verhindern.
Um den negativen Entwicklungen entgegenzuwirken, wurden die Jesuiten 1561 nach Mainz geholt. Als erster Jesuit hatte Petrus Faber, ein Freund des Ordensgründer Ignatius von Loyola, Mainz 1542 besucht und auch einige Vorlesungen gehalten. Die Artistenfakultät wurde den Jesuiten als erstes Betätigungsfeld zugewiesen. Sie sollten vor allem in den Fächern Latein, Griechisch, Grammatik und Rhetorik aktiv werden und selbst unterrichten. Nebenbei gründeten die Jesuiten noch eine eigene Schule, die 1560 mit über 300 Studenten bereits stärker frequentiert wurde als die Universität. 1562 wurden mehrere Jesuiten offiziell immatrikuliert, sie zogen in die Burse Zum Algesheimer Hof ein und stellen die Hälfte des Personals der Fakultät. 1566 wird der erste Jesuit Dekan der Artistenfakultät. Die Jesuiten wurden für ihre Dienste vom Erzbischof bezahlt, obgleich sie ihren Unterricht kostenlos anboten, wie es ihre Ordensregeln verlangten. Allein im ersten Jahr erhielten sie 20.000 Gulden, um die philosophische Fakultät zu reformieren und auszubauen.
Dies gelang ihnen auch in den nächsten Jahrzehnten, und bis ins 18. Jahrhundert hinein bestimmten die Jesuiten das Programm der philosophischen Fakultät. Zwischen 1689 und 1715 lag die Zahl der jährlichen Promotionen stets über 12 und erreichte in einem Jahr sogar 40. Dies war eine zuvor unerreichte Häufigkeit von Promotionen und zeugte vom Erfolg der Jesuitischen Maßnahmen.
0.4.Das Ende der Fakultät
Im Laufe des 18. Jahrhunderts wurde jedoch immer mehr Kritik an den Jesuiten laut. Das Zeitalter der Aufklärung hatte begonnen, und mit ihm die offene Kirchenkritik. Akademiker in ganz Europa verfassten Schriften gegen das Mönchstum, gegen den Absolutheitsanspruch der katholischen Kirche und auch gegen die verschiedenen Orden. Der Jesuitenorden geriet in der Öffentlichkeit immer mehr in Verruf, ihm wurde Rückständigkeit und übertriebener Konservativismus unterstellt, ebenso Macht- und Geldgier. 1776 wurde der Jesuitenorden schließlich aufgelöst, und seine Mitglieder räumten ihre Posten, auch an der Artistenfakultät in Mainz. Nur wenige Jahre später erfolgte die große Universitätsreform von 1784. Die Artistenfakultät wurde, wie auch die anderen Fakultäten, vergrößert und erhielt einen größeren Etat. Neu war auch die Erlaubnis für Protestanten und Juden, an der Mainzer Universität zu studieren und zu lehren. Lange konnten die Neuerungen jedoch ihre Wirkung nicht entfalten. Mit dem Einmarsch der französischen Truppen in Mainz 1792 im Rahmen des ersten Koalitionskrieges kam die Lehrtätigkeit der Universität zum Erliegen, und auch die Artistenfakultät stellte bald ihre Arbeit ein.
Nachweise
Literatur:
Just, Leo; Mathy, Helmut: Die Universität Mainz. Grundzüge ihrer Geschichte. Mainz 1965.
Metzner, Heinrich: Die alte Universität Mainz. In: Die Alte Mainzer Universität. Gedenkschrift anlässlich der Wiedereröffnung der Universität in Mainz als Johannes-Gutenberg-Universität. Mainz 1946.
Ruppel, Aloys: Die Lehrstätten der alten Mainzer Universität. In: Die Alte Mainzer Universität. Gedenkschrift anlässlich der Wiedereröffnung der Universität in Mainz als Johannes-Gutenberg-Universität. Mainz 1946.
Steiner, Jürgen: Die Artistenfakultät der Universität Mainz 1477-1562. Stuttgart 1988.
Red. Bearb. Juliane Märker 20.08.2012